Lernarrangements

Die Deutschdidaktik kann den Unterricht beobachten („Rekonstruktion“) oder darauf einzuwirken versuchen („Konstruktion“) (vgl. Wieser 2016). Wir versuchen, beides miteinander zu verbinden, und konzentrieren uns dabei auf den Dreh- und Angelpunkt des Unterrichts: Aufgaben. Wir rekonstruieren Lernprozesse, konstruieren davon ausgehend und mit Bezug zu pragmatisch und funktional ausgerichteten theoretischen Konzepten „Lernarrangements“, d.h. komplexe Lernaufgabensettings, prüfen diese Arrangements im Unterricht empirisch auf ihre Wirksamkeit und leiten aus den gewonnenen Erkenntnissen Handlungsempfehlungen für Lehrende ab (vgl. Steinhoff 2020).

Dabei kooperieren wir mit Kolleg*innen in Siegen und an anderen Universitäten sowie verschiedenen Partnerschulen und setzen unterschiedliche Methoden und Methodenkombinationen ein, insbesondere hermeneutische, korpuslinguistische und experimentelle Verfahren. Unser Interesse gilt gleichermaßen der Grundschule, den weiterführenden Schulen und der Universität und bezieht sich vornehmlich auf die Bereiche Schreiben, Rechtschreiben, Grammatik, Wortschatz, Sprache im Fach und Deutsch als Zweit- und Fremdsprache.

Schreibarrangements

Ein erstes Beispiel sind Schreibarrangements, die wir in verschiedenen Forschungsprojekten untersucht haben und weiter untersuchen und die zudem in einem Heft der Zeitschrift „Der Deutschunterricht“ in einem Grundlagenbeitrag und in Einzelbeiträgen zu typischen Textformen für den Schreibunterricht in der Sekundarstufe I und II (Argumentieren, Berichten, Beschreiben, Erörtern, Erzählen, Inhalte angeben, Interpretieren) ausgearbeitet worden sind (vgl. Steinhoff 2018).

Den Ausgangspunkt eines Schreibarrangements bildet das „Lernziel“, etwa argumentative Schreibkompetenzen. Daraufhin wird eine „Situierung“ entwickelt, d. h. ein Kontext, in dem die Lernenden die zur Erreichung des Lernziels relevanten Denk- und Handlungsprozesse vollziehen können. Die Situierung bezieht sich auf die Funktion des Schreibprodukts (z. B. Überzeugen), den Adressaten dieses Produkts (z. B. eine Person, die eine andere Position vertritt), einen sinnvollen Inhalt (z. B. die Frage betreffend, ob der Deutschunterricht dauerhaft online stattfinden soll), die für das Argumentieren einschlägige Sprache (z. B. Abwägen mithilfe einer Formulierung wie „zwar … aber“), eine oder mehrere Strategien (z. B. Auflisten und Ordnen von Pro- und Kontra-Argumenten), einen hilfreichen Ko-Aktanten (z. B. der Austausch mit einer Mitschülerin) und ein geeignetes Medium (z. B. Textverarbeitungsprogramm eines Laptops). Aus der Situierung wiederum resultieren bestimmte Optionen, auf die Schreibprodukte der Lernenden zu reagieren: mit der Rückmeldung auf die Texterstfassung (z. B. Fragen zum Text aus Sicht des Adressaten) und mit der Bewertung auf die Textzweitfassung (z. B. auf die Funktion abgestimmte Kriterien). In diesem didaktischen Gesamtgefüge schließlich findet der individuelle Schreibprozess der Lernenden statt – von der Planung über die Formulierung bis zur Überarbeitung – was idealerweise zur Erreichung des zu Beginn gesteckten Lernziels führt (mit entsprechenden Differenzierungen).

Die bisherigen Ergebnisse zeigen u.a., dass eine Situierung, in deren Rahmen authentische Leser*innen Rückmeldungen gaben, zu besseren Texten führten als eine Situierung, in denen sich die Schreiber*innen selbst Rückmeldungen gaben, oder auch, dass Schreibarrangements, in denen Hilfen zum sprachlichen Handeln angeboten werden (z. B. Abwägen), zu besseren Texten führten als eine Situierung, in denen keine solchen Hilfen oder nur Formulierungen (z. B. „zwar … aber“) angeboten wurden.

Transfer des Bildungswortschatzes

Ein zweites Beispiel sind die Lernarrangements, die im Rahmen des BMBF-Projekts „Transfer des Bildungswortschatzes“ im Verbund mit der Universität Bremen auf der Grundlage von Einsichten zum Erwerb der Bildungssprache entwickelt und in Zusammenarbeit mit einem Gymnasium in Bremen und einer Gesamtschule in Siegen in der 8. Klasse in den Fächern Biologie und Geschichte untersucht worden sind (vgl. Steinhoff & Marx, 2020). Die Schüler*innen hatten die Aufgabe, zu einschlägigen Fachthemen Lese- und Schreibaufgaben zu bearbeiten, bei denen ihre Aufmerksamkeit entweder auf die Bildungslexik oder die Fachlexik gerichtet wurde, und anschließend erklärende Kurzvorträge zu halten.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen u. a., dass die Schüler*innen, die sich lesend und schreibend mit der Bildungslexik auseinandergesetzt hatten, in ihren Vorträgen fächerübergreifend signifikant mehr Bildungslexik und zudem nicht weniger Fachlexik als die Schüler*innen verwendeten, die sich mit der Fachlexik befasst hatten. Für den Unterricht kann daraus geschlussfolgert werden, dass die mündliche Erklärkompetenz in den Sachfächern durch schriftliche Aufgaben gefördert werden kann, in denen die Bildungssprache fokussiert wird.

Nähere Informationen:

Steinhoff, T. (2020). Deutschdidaktische Grundrezepte. Didaktik Deutsch, 48, 8–15.

Steinhoff, T. & Marx, N. (2020). Schlussbericht zu dem vom BMBF geförderten Forschungsprojekt „Transfer des Bildungswortschatzes von der Schriftlichkeit in die Mündlichkeit in den Sachfächern der Sekundarstufe I“ („TraBi“).

Steinhoff, T. (2018). Schreibarrangements. Impulse für einen lernförderlichen Schreibunterricht. Der Deutschunterricht, 3, 2–10.

Wieser, D. (2016). Zum Verhältnis von Rekonstruktion, Konstruktion und Normfragen in der Deutschdidaktik. In C. Bräuer (Hrsg.), Denkrahmen der Deutschdidaktik. Die Identität der Disziplin in der Diskussion (S. 127–145). Berlin: Lang.